OEHLER, K.T. (2007)

Der gruppendynamische Prozess
Ein Schlüssel zum besseren Verständnis sozialer Konflikte in Familie, Schule, Betrieb und Politik,
Frankfurt/M.: R. G. Fischer

2. überarbeitete Auflage 2007
R.G. Fischer Verlag, 1999
271 Seiten, Paperback
ISBN 978-8301-1120-7




Wir leben, arbeiten, lieben und sterben in Gruppen. Wir werden in Gruppen krank und können auch in Gruppen wieder geheilt werden. Aus diesen Gründen hat der Autor ein leicht verständliches Buch über die psychoanalytisch orientierte Gruppendynamik geschrieben.
Die Absicht des Autors besteht darin, unbequeme Probleme aufzugreifen, kritische Fragen zu stellen, überraschende Antworten zu geben, die Pädagogik aus einer neuen Perspektive zu beleuchten und dem Denken in gruppendynamischen Kategorien einen Weg zu ebnen. Er verfolgte die konzeptionelle Idee, das Thema "Gruppendynamik", ausgehend von einer breiten Erfahrungsbasis, im Verlauf des Textes mehr und mehr theoretisch zu vertiefen.
Das Buch richtet sich in erster Linie an Menschen, die sich für die Gruppendynamik, den gruppendynamischen Prozess allgemein, für gruppendynamische Vorgänge in der Schule, in den Betrieben und in der Politik speziell und für deren Hineinwirken in die menschliche Psyche im besonderen interessieren. Es wendet sich an Lehrer, Psychologen, Betriebsberater, Psychotherapeuten, Ärzte, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Erwachsenenbildner usw. oder allgemein an Personen, die sich mit den Gesetzmässigkeiten in der Gruppendynamik in einem vertieften Zusammenhang auseinandersetzen wollen.


Buchbesprechungen:   Aargauer Zeitung      Dynamik       Pynamische Psychiatrie
                                                 31.12.1999           Heft 4/06          Heft 176/179 / 1999        
                                                                                                  


Im Einzelnen hat der Autor versucht, folgende Fragen aufzuwerfen und zu beantworten:

 a)  Wie funktionieren Gruppen im allgemeinen und berufliche Gruppen im speziellen? Wie reagieren Menschen in Gruppen und wie werden Gruppen geleitet? Was bedeutet Leitung im gruppendynamischen Sinn? Welchen Gesetzmässigkeiten unterliegt der gruppendynamische Prozess? Was ist "Mobbing"?
 b)  Welches sind die wichtigsten Ursachen für Konflikte in Familien, Schulklassen Arbeitsteams, Sportmannschaften oder anderen gesellschaftlichen Gruppen? Warum werden Lehrer entmachtet? Wie können diese Konflikte gelöst werden? Welches sind die Bedingungen, unter denen plötzliche überragende wissenschaftliche bzw. sportliche Leistungen auftreten?
 c)  Wie wirken sich gruppendynamische Muster beim einzelnen Menschen aus und wie wird die Gruppendynamik einer Gruppe von den früheren Gruppenerfahrungen der Teilnehmer beeinflusst? Wie werden Rollen, zum Beispiel die Geschlechterrolle gelernt?
 d)  Welches sind die Ursachen für psychische Entwicklungsstörungen beim Menschen und wie können wir uns die Ausbildung schwerer Ich-Krankheiten wie Schizophrenie, Perversion, Kriminalität, Sucht, Psychosomatik, Borderlinesyndrom usw. erklären? Was bedeutet eigentlich Psychotherapie ?
 e)  Weshalb gibt es Religionen, welchen Gesetzmässigkeiten unterliegt das religiöse Verhalten und warum glauben Menschen an einen "Gott" ? Kann man das religiöse Verhalten auch gruppendynamisch interpretieren?
 f)  Wer bestimmt, was schön, gut und recht ist ? Wie entwickeln sich z.B. die Gesetze eines Staates, die ethischen bzw. ästhetischen Normen oder die politische Gesinnung eines Volkes? Gibt es allgemeingültige Gesetze, die von menschlichen Gruppen unabhängig sind, oder sind diese von Menschen geschaffen?
 g)  Können die Ergebnisse der Kleingruppenforschung auch auf grosse bzw. grösste Gruppen, auf die Dynamik der Gerichte, Parlamente, Regierungen und schliesslich ganzer Städte, Staaten und Völker übertragen werden? Warum können Staatswesen kollabieren und warum haben z.B. die USA den Vietnamkrieg verloren?
 h)  Unterliegt der gruppendynamische Prozess einer unbewussten finalen Tendenz, einer Finalität, die uns Antworten auf die Frage geben könnte, in welche Richtung sich grosse und kleine Gruppen entwickeln? Lassen sich aus dieser Tendenz eventuell Aussagen über die Zukunft von grossen Gruppen, Staaten bzw. ganzer Kontinente, z.B. Europa, ableiten?



OEHLER, K.T. (2003)

Rivalität
und wie man richtig damit umgeht
München : C. H. Beck

Achtung! Dieses Buch ist im Buchhandel vergriffen, kann aber auf der Homepage bestellt werden.

168 Seiten, Paperback
ISBN 3 40649434X



In einem ersten Schritt wird aufgezeigt, dass alle Menschen rivalisieren. Dies gilt auch dann, wenn das Rivalisieren nicht bewusst als solches erlebt wird. In einem zweiten Schritt wird dargelegt, dass und warum das Rivalisieren gesellschaftlich tabuisiert wird. Es wird behauptet, dass das Rivalisieren vorwiegend deshalb abgelehnt wird, weil es als unsolidarisch bzw. egoistisch gilt oder weil es die Angst vor unbewussten Prozessen und dem Verlieren schürt. Dies bedeutet ein prekäres Dilemma Obwohl alle Menschen rivalisieren, will es niemand wahrhaben! Dieses Dilemma wird mittels der Differenzierung des Begriffs "Rivalität" in eine "konstruktive" "destruktive" "defizitäre" und "strukturelle" Komponente mehr oder weniger elegant aus der Welt geschafft.

In einem weiteren Kapitel werden diese Unterbegriffe anhand ihrer Funktionen näher beschrieben und anhand zahlreicher Beispiele verdeutlicht. Schliesslich konnten Gruppen bzw. Institutionen identifiziert werden, in denen Rivalität eine Schlüsselrolle spielt, zum Beispiel im Sport, in der Forschung und in bestimmten Betrieben die es wagen, die Leistungsmotivation der Mitarbeiter zur Maxime eines konsequenten Betriebskonzepts zu erheben.

Im anschliessenden Kapitel werden, ausgehend von der Annahme, dass dem Rivalisieren typische Tiefenstrukturen zugrunde liegen, die Strukturen der Familienkonstellationen analysiert. Das Beziehungsnetz innerhalb der soziologischen Kernfamilie wird dargestellt und in einem zweiten Schritt die Tiefenstrukturen der menschlichen Rivalität erläutert. Durch diese Ausführungen soll deutlich werden, wie das familiäre Beziehungsnetz aus der Kindheit zur Tiefenstruktur des erwachsenen Rivalitätsverhaltens verinnerlicht wird.
Dabei wendet sich das Interesse auch auf biblische Geschichten und griechische Sagen. Diese legen nahe, dass sich hinter der Rivalitätsproblematik uralte archetypische Muster verbergen. Wohl aus diesen Gründen wurden diese schon in der Antike zu zentralen Themen grossartiger künstlerischer Darstellungen erwählt.

Das Buch schliesst mit einem Nachwort, in dem eine zusammenfassende Beurteilung des Stellenwertes der Rivalitätsproblematik erfolgt.



OEHLER, K. T. (2005),

Das Wesen der Seele

Norderstedt : Books on Demand GmbH

217 Seiten, Paperback
ISBN 3-8334-2904-6




Eine psychologisch-naturwissenschaftliche Erörterung der Frage nach dem Wesen der Seele


Warum hat der Mensch eine Seele? Der Autor hat sich bemüht, sich der Seele vom naturwissenschaftlich-psychologischen Standpunkt aus schrittweise anzunähern. Über die Erforschung der Aufmerksamkeitsreaktion und des Bewusstseins wurde versucht, ein Verständnis für das Ich und seine Funktionen beziehungsweise für die Seele zu gewinnen. Dabei hat der Autor die Seele nicht als etwas göttlich Gegebenes aufgefasst. Welche Bedingungen beziehungsweise Anforderungen haben zwingend zur Ausformung seelischer Strukturen geführt ?
Was bedeutet eigentlich der Begriff "Seele"? Stellt er eventuell die Summe aller psychischen Prozesse dar, das Innerste des Menschen? Oder charakterisiert er etwa das Lebendige, den sogenannten Lebensfunken, die Dynamik des Bewegten beziehungsweise den eigentlichen Ursprung alles Lebendigen? Oder meint dieser Begriff vielleicht nur die Gefühle, die Summe aller Gefühle oder gar einen Sammelbegriff für unterschiedliche, nicht streng voneinander abgrenzbarer Eigenschaften, die das typisch Menschliche bezeichnen? Oder ist damit nicht doch etwas Göttliches, göttlich Inspiriertes oder letztlich gar das Unsterbliche gemeint?
In dieser Abhandlung wird davon ausgegangen, dass die Seele nicht göttlichen Ursprungs ist. Damit stellt sich die entscheidende Frage sowohl nach dem Sinn als auch nach der Funktion der Seele. Warum haben der Mensch und gegebenenfalls auch die Tiere eine Seele? Welche Bedingungen während der Evolution des Lebens haben zwingend zur Entwicklung seelischer Strukturen geführt? Mit einer einigermassen überzeugenden Beantwortung dieser Frage würde sich das Verständnis für das Leben im Allgemeinen und für das Funktionieren des menschlichen Organismus im Speziellen entscheidend vertiefen.
Ohne Zweifel ist die Seele etwas Wichtiges, hat sie eine wichtige Funktion, beziehungsweise, hat sie eine bedeutende Aufgabe zu erfüllen. Aber welche mentalen Funktionen muss sie bewältigen? Erfüllt sie als mentales Organ tatsächlich eine ebenso wichtige Aufgabe wie etwa ein Körperorgan, zum Beispiel das Herz, die Lunge, die Niere usw.?
Warum werden den körperlichen Krankheiten mit grösstem technischen beziehungsweise finanziellen Aufwand begegnet, und den seelischen kaum? Und warum werden körperliche Vorgänge so eingehend und mit Akribie untersucht, und die psychischen, im Vergleich dazu, relativ wenig? Warum werden für die körperliche Gesundheit Milliarden aufgewendet, und für die Psychische nur Bruchteile? Vielleicht haftet dem Seelischen nach wie vor etwas Geheimnisvolles, Dunkles, Zwiespältiges oder gar Negatives an. Vielleicht trägt die Seele nach wie vor den Nimbus von etwas Obskurem und Unkontrollierbarem, das die Menschen verängstigt, weil sie mit den unterschiedlichsten Gefühlen assoziiert wird. Nicht ohne Grund redet man von der Seele vom "inneren Afrika"! Vielleicht sind deshalb im Hinblick auf ihre Seele so viele Menschen unsicher, weil sie in ihrem Innern sowohl Gutes als auch einen Hort des Bösen, oder gar tiefste Abgründe vermuten. Vielleicht ist das der Grund, warum das Seelische, vor allem in repressiven Gesellschaften, tendenziell verdrängt beziehungsweise abgewehrt wird.



OEHLER, K. T. (2009)


Ich-strukturelles Arbeiten in der Gruppenpsychotherapie und Körpererleben

In: Künzler, A.; Böttcher, C.; Hartmann, R.; Nussbaum, M.-H. (Hrsg.)
Körperzentrierte Psychotherapie im Dialog
Grundlagen, Anwendungen, Integration, der IKP-Ansatz von Yvonne Maurer
Heidelberg: Springer

S. 349 - 362,  Paperback
ISBN  978-3-642-01059-0


Ich-strukturelles Arbeiten


Der Beitrag ortet einen allgemeinen Wandel
von psychischen Problemen oder Konflikten zu Ich-strukturellen Defiziten. Als ein pathogenetischer Faktor wird das "Loch im Ich" beschrieben. Da solche Ich-Strukturen grösstenteils im sozialen Umfeld, also in Gruppen erworben werden, wird entsprechend Gruppenpsychotherapie als adäquate Behandlungsfform vorgeschlagen. Die Gruppenteilnehmer stellen dabei eine externe Ressource dar. Integrierte Körperarbeit muss zum Ziel haben, die ausgelösten Emotionen mit Kognitionen zu vernetzen, so dass neu Ich-Sztrukturen die Defizite ersetzen können. Die besonderen Anforderungen an Gruppenpsychotherapeuten werden dargelegt.


OEHLER, K. T. (2016)

Das Loch im Ich
Und warum so viele Menschen unglücklich sind, obwohl sie wie in einem Paradies leben

Berlin: Frank & Timme 
Verlag für wissenschaftliche LIteratur
ISBN  978-3-7329-0275-0




Loch im Ich




Warum so viele Menschen unglücklich sind, obwohl sie wie in einem Paradies leben?

Warum sind eigentlich so viele Menschen unglücklich, unzufrieden beziehungsweise aggressiv? Warum sind sie so brutal, so verzweifelt, so interesselos und ohne Ziel?
Und warum gibt es Hooligans, die sich mit Fussballfans schlagen, Jugendliche, die ihre Mitschüler in einem Amoklauf ohne gleichen über den Haufen schiessen, Drogensüchtige, die innerlich der Welt entfliehen und unbelehrbare, religiöse Fanatiker? Warum gibt es Vandalen, die Eisenbahnwagen zerstören beziehungsweise Wände verschmieren? Warum gibt es Pneustecher, Randalierer und Schiesswütige?
Warum werden Banken überfallen? Und warum gibt es, allgemeiner ausgedrückt, Kriminelle und Verbrecher, obwohl, wenigstens vom materiellen Wohlstand aus betrachtet, das Geld, vor allem bei uns, auf der Strasse liegt? Warum gibt es Menschen, die sich an Pornografie erfreuen, die Kinder missbrauchen, Frauen vergewaltigen? Warum gibt es narzisstische Menschen, Borderline-Persönlichkeiten, Depressive und Menschen mit Psychosen?
Vielleicht sind viele Menschen deshalb unzufrieden, unglücklich beziehungsweise aggressiv, weil sie irgendwie krank und innerlich leer sind. Anscheinend gibt es eine weit verbreitete und von aussen nicht leicht zu erkennende allgemeine Volksepidemie, die alles durchdringt und viele befällt. Anscheinend gibt es eine Krankheit, die Menschen allgemein unzufrieden, unglücklich und oft auch gewalttätig macht. Aber um welche Krankheit mag es sich handeln? Welches sind ihre Symptome, wie breitet sie sich aus, wie pflanzt sie sich fort und wie kann sie gegebenenfalls auch wieder geheilt werden?
Die Antwort kann nicht leicht fallen. Liegt es an der Veranlagung, an der Vererbung, oder am Zufall?
Vielleicht hat diese Krankheit etwas mit dem Fehlen der inneren Ausgeglichenheit zu tun. Vielleicht leiden, schlagen, stehlen, morden oder bekriegen sich die Menschen deshalb auf der Welt, weil sie sich innerlich nicht in Harmonie befinden, weil sie von einem Extrem ins andere fallen und weil sie immerzu nach etwas unendlich Fernem, konsequent Unfassbarem beziehungsweise ewig Unerreichbarem streben. Aber was bedeutet dieses Ungreifbare, Unfassbare beziehungsweise Unerreichbare? Ist es die Lust, die Sexualität, die Freude, die Heiterkeit, ein fernes Glück oder gar das ewig verlockende Paradies?
Meistens sind die Menschen deshalb krank, unglücklich beziehungsweise aggressiv, weil sie seit ihrer Kindheit eine innere schmerzende Wunde, ein ungestilltes inneres Verlangen nach einem unerreichbaren inneren Heil verspüren. Dieses Verlangen ist aber nicht das Ergebnis eines äusseren Mangels, sondern kommt in der Regel aus einem inneren Defizit, das diese Menschen veranlasst, alles zu unternehmen, um dieses schmerzhafte Leid in der Seele so schnell wie möglich zu beseitigen. Alle Bemühungen, dieses Defizit zu heilen, müssen aber scheitern, weil es sich bei diesem Unheil um einen tief im Innern der Seele verankerten ich-strukturellen Mangel in der Persönlichkeit, um das sogenannte "Loch im Ich" handelt.
Was bedeutet aber dieses "Loch im Ich"? Dieses Phänomen stellt ein allgemeines, unspezifisch wirkendes ich-strukturelles Defizit in der "Ich-Struktur" dar. Bei diesem "Loch im Ich ", das in der Regel allen oben angegebenen Symptomen unbewusst zugrunde liegt, handelt es sich um ein während der Kindheit langsam entstandenes, inneres Strukturdefizit. Menschen, die unter diesem Defizit leiden, spüren jederzeit, dass ihnen etwas sehr Wesentliches und unendlich Wichtiges zum allgemeinen Glücklichsein fehlt. Und eben dieses "Loch im Ich" ist schliesslich der wahre Grund, warum Hooligans randalieren, Jugendliche Amok laufen, Vandalen die Wände besudeln, Räuber rauben und Mörder morden. Zwar gibt es zwischen einem Rowdy, einem Mörder, einem narzisstischen oder sonst wie kranken Menschen entscheidende Unterschiede, zum Beispiel im Verhalten und in den Symptomen, und man könnte meinen, dass es zwischen diesen Menschen kaum Gemeinsamkeiten gäbe. Darüber, ob diese Menschen Hooligans, Rowdys, Räuber, Vergewaltiger, Kinderschänder, Drogensüchtige oder Neurotiker werden, entscheidet die spätere Lerngeschichte, nicht zuletzt anhand entsprechender Vorbilder oder gewalttätiger Verhaltensmodelle, wie sie zum Beispiel die Werbung, Computerspiele und das Fernsehen anbieten. Aber darüber, dass ein Mensch in dieser grundlegenden Weise unglücklich und auffällig ist, entscheidet das Vorhandensein dieses "Lochs". In Wirklichkeit haben alle diese Verhaltensauffälligkeiten doch immer das Eine gemeinsam, das Defizit in der ich-strukturellen Basis. Aus diesen Gründen lässt sich in der Regel hinter jeder psychischen Störung und ebenso bei jedem abweichenden Sozialveralten unter der Oberfläche der unterschiedlichen Symptome immer die gleiche entscheidende Ursache erkennen: Eben dieses "Loch im Ich"!
Aber wie entsteht konkret dieses "Loch im Ich"? In der Regel stellt dieses Defizit, neben einer möglicherweise genetischen beziehungsweise vorgeburtlichen Mitverursachung, eine Widerspiegelung der defizitären Kommunikationsstruktur in der Elternfamilie dar. Das heisst mit anderen Worten, dass sich eine rigide Emotionalität, eine mangelnde Differenziertheit oder eine defizitäre Komplexität der sprachlichen beziehungsweise Verhaltensmässigen Ausdrucksfähigkeit einer Familie in der Ich-Struktur der Kinder als allgemeines Ich-Strukturdefizit, als eben dieses "Loch im Ich" niederschlägt. Diese Menschen fühlen sich dann, obwohl es ihnen materiell an nichts zu fehlen scheint, innerlich leer, gespannt und immerzu unzufrieden. Sie sind stets bemüht, diesem inneren Unglück, dieser sogenannten Wohlstandsverwahrlosung, auf jede nur erdenkliche Art und Weise zu entrinnen. Sie sind dauernd im Begriff, etwas Tätiges, Legales oder auch Illegales zu unternehmen und um Anerkennung zu ringen, in der Hoffnung, ihr Leiden endlich loszuwerden. Sie sind dauernd beschäftigt, beziehungsweise, in gewisser Weise, über- beziehungsweise hyperaktiv. Sie suchen nach Ausgleich und Kompensationen, nach Heilung und Harmonie.
Da diese Menschen aber meistens die tatsächliche Ursache ihrer individuellen Unzufriedenheit nicht kennen, pflegen sie ihr persönliches Unglück vielfach als Folge ihrer unglücklichen Lebensumstände zu interpretieren. Sie sind dann eher bereit, die äusseren Wohnbedingungen, die Arbeitskollegen, das beschränkte Einkommen, die Umstände des Arbeitsumfeldes, den Lebenspartner oder gar die Gesellschaft im Allgemeinen für dieses innere Unglück verantwortlich zu machen. Die Folge dieser Sinnesverwirrung ist dann, dass sich die Menschen eher von ihren Partnern trennen, dass sie eher die Wohnungen wechseln, einen neuen Beruf erlernen oder sogar, wie von Sinnen, Steine werfen oder kriminalisieren, als die wirklichen Ursachen ihrer Unzufriedenheit zu erforschen.
Erstaunlicherweise sind allgemein weder das Wesen dieser Krankheit noch deren Wirkung wirklich bekannt. Obwohl sie unzählige Menschen erfasst, scheinen nur wenige Menschen zu realisieren, dass es sich bei diesem Phänomen überhaupt um eine Krankheit handelt. Die Menschen haben sich anscheinend so sehr an dieses Phänomen gewöhnt, dass es niemandem mehr auffällt, dass es sich bei dieser Erscheinung um eine ganz besondere und äusserst hartnäckige Volkskrankheit handelt.
Muss dieses Schicksal einfach hingenommen werden oder ist es möglicherweise gar abwendbar? Gibt es Möglichkeiten, diesen Krankheitsverlauf zu stoppen oder die Folgen dieser Epidemie, die da heisst "emotionale Unzufriedenheit", gar zu heilen? Tatsächlich gibt es einen Weg, diese Krankheit im mindesten zu bessern, indem man sich in erster Linie um Selbsterkenntnis bemüht, indem man die Probleme ausdrücklich als die seinigen anerkennt und entsprechende Massnahmen ergreift. Vielleicht wollen es aber viele Menschen gar nicht so genau wissen, vor allem nicht so konkret beziehungsweise so unerträglich offensichtlich. Vielleicht sind viele Menschen froh, dass sich diese Krankheit nicht so offen zu erkennen gibt. Denn vielleicht könnte es ja unangenehme Konsequenzen haben, diese Krankheit in ihrem Wesen vollständig zu erkennen, Konsequenzen, die schwerer zu ertragen wären als die körperlichen Leiden, als die Angst vor Kriminellen, als die Provokationen der Drogenabhängigen oder als die Abgründe der Depressionen. Es könnte nämlich bedeuten, dass man sich selber in Frage stellen müsste und letztlich die letzten Beweggründe in sich selbst und in seiner familiären Herkunft auffinden müsste. Deshalb sind Heilung und Harmonie nicht leicht zu gewinnen. Im Gegenteil, eine Rekonstruktion dieses Defizits kann nur langsam erfolgen. Genau so, wie sich die Entwicklung dieses sogenannten "Lochs im Ich" nur sehr langsam und während der ganzen Kindheit hindurch ausbildet, genau so kann es wiederum nur schrittweise und sehr langsam beseitigt werden.
Hilfreich zur Verminderung des strukturellen Defizits wären grundsätzlich alle Massnahmen, die der inneren Vervollkommnung, der erweiterten Selbsterkenntnis beziehungsweise der Selbstverwirklichung dienen. Dazu könnten zum Beispiel Fortbildungsbemühungen, Selbsterfahrungsgruppen, Meditationsgruppen, Diskussionszirkel u.a.m. beitragen. Für eine erfolgreiche Integration sind ausserdem die Sprache und das Reden eine wichtige Voraussetzung. Dabei ist die gesprochene Sprache um vieles wichtiger als die geschriebene. Erst die verbale Kommunikation über Wahrnehmungen, Bedürfnisse, Gefühle, die Einfühlung und erst die Auseinandersetzung von Mensch zu Mensch, das Streitgespräch und in Worte gefasste Argumente machen eine konstruktive Verständigung möglich. Das Sprichwort "Reden ist Silber und Schweigen ist Gold" wird wohl eher von Menschen geredet, die es eigentlich schwer hätten, sich in einer modernen Gesellschaft oder in einem aufgeklärten Betrieb zu behaupten. Es gilt mit Sicherheit das Gegenteil: "Reden ist Gold"!
Die Behandlung schwerer innerer Defizite findet in der Regel in einer Psychotherapie statt, in der die nachholende Ich-Entwicklung im Rahmen des psychotherapeutischen, ich-strukturellen Arbeitens langsam vollzogen wird. Das bedeutet konkret, dass in einer solchen Therapie alles das stattfinden muss, was in der Ursprungsfamilie möglicherweise gefehlt hat, zum Beispiel das offene, ehrliche Gespräch über alle wichtigen Dinge des Lebens, einschliesslich der nicht bewussten Vorgänge, das engagierte, interessierte und kreative Aufeinanderzugehen, die Fähigkeit, sich in Gruppen konstruktiv einzubringen, auseinander zu setzen und durchzusetzen und nicht zuletzt eine warmherzige, wohlwollende beziehungsweise harmonische Familienatmosphäre.

Zeitungsbeitrag zum gleichen Thema im "Der Bund"

Das "Loch im Ich"


Oehler, K. T. (2018)

Hat die Demokratie noch eine Zukunft?

Die gruppendynamischen Hintergründe für den Rechtsrutsch und die Krise der Demokratie

Zug: Schweizer Ligeraturgesellschaft
160 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-03883-5





Um die Frage nach der Zukunft der Demokratie zu beantworten, wurde nach tieferen Ursachen gesucht, die eher fremdartig erscheinen:
Die Gesetzmässigkeiten der Grossgruppendynamik.
Die Erkenntnisse, die daraus gezogen werden, gestatten einen grundsätzlich neuen Blick auf die Dynamik des allgemeinen Weltgeschehens.